Vor einigen Jahren wurde ich bei Gericht geladen, um bei der Entscheidungsfindung zu einem Fall sexueller Belästigung am Arbeitsplatz mitzuhelfen. Der Beklagte, ein Vorarbeiter einer Reinigungsfirma, soll eine Mitarbeiterin in einer Wäschekammer belästigt haben. Der Mann bestritt die Vorwürfe vehement. Er gab jedoch zu, der Frau in die Wäschekammer gefolgt zu sein, um ihr Anweisungen zu geben. Die Tür zur Wäschekammer schloss er aus Gewohnheit hinter sich. Was hinter dieser Tür wirklich passiert ist, erschloss sich der Kammer nicht.
Erschwerend hinzu kam, dass die Klägerin nicht anwesend war und somit auch nicht befragt werden konnte. Einzig ihre Aussage, sie sei vom Vorarbeiter bedrängt und angefasst worden, war aktenkundig. Es ließ sich nicht feststellen, wer von beiden nun die Wahrheit sagte.
Gestern wurde im ZDF das gelungene Kammerspiel “Sie sagt. Er sagt”, nach dem Drehbuch von Ferdinand von Schirach gezeigt. Das spannende Gerichtsdrama stellte zwei scheinbar vollkommen plausible und stichhaltige Versionen der Wahrheit gegenüber.
Das Ende bleibt bewusst offen.
Der Film appelliert vor allem an die Unvoreingenommenheit des Zuschauers. Ist man selbst in der Lage, vorurteilsfrei ein Urteil zu fällen, oder spielen Emotionen, Sympathien, Antipathien oder gar Vorurteile eine größere Rolle? Ist bei einer Pattsituation immer nach dem Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden?
Im oben genannten Fall entschied der Vorsitzende Richter die Unwirksamkeit der Kündigung und gab dem Beklagten die Überlegung mit auf den Weg, selbst zu kündigen.
Auf meine Nachfrage in kleiner Runde antwortete der Richter, dass wohl niemand mit einem Vorgesetzten zusammenarbeiten möchte, der in einer Wäschekammer mit einer Frau alleine die Tür hinter sich schließt. Der Beklagte hätte sich eigentlich schon aufgrund seiner Dummheit zu verantworten.
Allerdings urteile das Gericht nicht nach Dummheit der Beklagten, sondern nach Sachverhalt, der sich zweifelsfrei eben nicht darstellen lasse.
Hi Peter,
eines hat man mir während meiner Zeit im Einzelhandel eingebleut: eine verdächtige Laden-Diebin lässt man IMMER vor sich zum Büro gehen (damit Sie nicht in einem unbewachtem und unbeobachtetem Moment die gestohlene Ware irgendwo fallen lässt und NIEMALS, NIEMALS, NIEMALS ist man mit ihr alleine im Büro — genau aus diesem Grund, denn dann wird blitzschnell aus der Schuldigen das Unschuldslamm und man selber hat eine Anzeige wegen sexueller Belästigung oder sogar versuchter Vergewaltigung am Arsch.
Das gleiche sollte man auch bei andersgeschlechtlichen Untergebenen machen: IMMER mindestens eine weitere Person — am besten im gleichen Geschlecht des Delinquenten, damit nicht auf einmal eine Gruppenvergewaltigung im Raum steht..
Die Tür aus Gewohnheit hinter sich zu schließen ist erst mal nicht verwerflich — Korrekturgespräche von Vorgesetzten zu Mitarbeitern sollte man tunlichst nicht mitten im Laden führen und auch nicht unbedingt für Kunden hör — und sehbar.
Wäre die Tür abgeschlossen worden, hätte das sicher ein Geschmäckle — aber nur eine Tür hinter sich ins Schloß ziehen? Das reicht mir nicht für einen solchen Verdacht.
Und den Rat des Richters, sich einen neuen Job zu suchen, finde ich etwas deplaziert — auch wenn wir Fachkräftemangel haben.. 😉
Nun ja, es war ja eine Wäschekammer, wohin der Vorgesetzte der Mitarbeiterin gefolgt ist, nicht ein Büro. Allerdings fand ich die Reaktion auch etwas übertrieben, weil ja eben gerade nichts zu beweisen war.
Ich selber kenne die lockere Sexualmoral in den Büros früher nicht mehr. Wenn allerdings Frauen vor Anzüglichkeiten und Männer vor Verdächtigungen nur durch erhebliche Abstände zueinander zu schützen sind, wird’s schwierig mit der Zusammenarbeit. 🙂
Hier auch eine ausführliche Rezension des Schirach-Films, wenn du magst:
Sie sagt – er sagt: Schwierige Wahrheitsfindung im Strafgericht
https://www.claudia-klinger.de/digidiary/2024/02/28/sie-sagt-er-sagt-schwierige-wahrheitsfindung-im-strafgericht/
Hat mich sehr beeindruckt! Einfach toll, wie die eigenen Erwartungen und Vorurteile hier “vorgeführt” werden!