Das Reisen in fremde Länder macht vor allem eines, es erdet ungemein. Natürlich nicht der Pauschalurlaub in die Türkei oder in sonst ein Touristenviertel auf der Welt, sondern das Reisen abseits von Tourismus direkt zu den Menschen vor Ort. Dieser Luxus war uns im Kosovo gegönnt. Auf Einladung einer albanischen Familie konnten wir so ein Stück albanischer Kultur kennenlernen.
Das Ausmaß des Gefälles zwischen Arm und Reich und die Korruption sind hier enorm. Eine Krankenversicherung gibt es nicht, wer krank ist, muss die Arztrechnung privat bezahlen. Für die ärmere Bevölkerung unmöglich, wer krank ist, wird entweder so wieder gesund oder stirbt, das ist die bittere Wahrheit.
Die Mittelschicht ist im Kosovo nicht präsent. Zwar verdienen Handwerker inzwischen das Doppelte wie sonst noch vor ein paar Jahren, da auch hier der Fachkräftemangel spürbar ist, jedoch sind die Lebenshaltungskosten hier fast auf dem Niveau der Bundesrepublik. Mit 1000 Euro Lohn ist da schon schwer zu haushalten. Zudem wird in der Regel 6–7 Tage gearbeitet, wer frei oder Urlaub haben will, muss sich das leisten können. Bezahlt wird in der Regel nur die tatsächliche Arbeitszeit.
Der Klimawandel macht den Einwohnern auch hier zu schaffen. So berichteten mir Einheimische, das es zwar im Sommer immer auch heiß war, aber Temperaturen von über 40 Grad gab es früher kaum. In der kurzen Zeit die wir hier waren, haben wir diese Temperaturen zwei mal erleben können. in diesem Jahr galt erstmals ein Arbeitsverbot im Freien in der Zeit von 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr, da einige Arbeiter in der Hitze kollabiert und vom Dach oder Gerüst gefallen sind. Auch der Starkregen nimmt zu. Ohne Vorwarnung passiert es, dass es wie aus Eimern schüttet und die Straßen sich knietief mit Wasser füllen. Die durch den Einzug des Kapitalismus zunehmende Privatisierung ist ein weiteres Problem.
Strom und Müllabfuhr beispielsweise sind als Privatunternehmen gewinnorientiert; investiert wird nur das allernötigste. Die Anmeldung der Müllabfuhr ist keine Pflicht, die Gebühr können sich die wenigsten leisten und so landet der Müll eben auf der Straße. Die Stromversorgung ist oberirdisch und abenteuerlich installiert. Die Leitungen werden von vielen einfach „angezapft“ indem man ein Seil mit einem Haken über die Leitungen wirft und so lange zieht, bis sich ein Kabel löst. Das wird dann in der Regel als „Hausanschluss“ genutzt. Vor allem die zahlreichen ansässigen Roma nutzen dies, da sie in den verlassenen Ruinen hausen.
Die stehen hier übrigens Seite an Seite und im heftige Kontrast zu den ebenso zahlreichen Villen, deren Besitzer meist im Ausland reich gewordenen Albaner sind. Überhaupt, gebaut wird hier noch nach Wildwest Manier. Baugenehmigungen sind hier – zumindest im Ländlichen – weitgehend unbekannt. Oftmals wird auch nur der Rohbau hochgezogen und das war’s. Diese Rohbauten werden dann einfach der Natur überlassen.Wer jung ist, den zieht es in die Stadt. Das ist insofern schade, als dass die Landstriche noch mehr veröden. In der Stadt wachsen dafür die Hochhäuser. Das passt natürlich auch nicht jedem. Die Immobilienunternehmen kaufen das ganze Land auf, sagen die Leute.
Im Innenhof des Hochhauses, wo wir wohnten, wollte ein Eigenheimbesitzer offensichtlich nicht verkaufen und so steht nun sein Haus mit Grundstück eben im Innenhof zwischen vier Hochhäusern. Aus Trotz hält er sich einen Hund, der – angekettet – aufgrund der zahlreichen wilden Hunde hier die ganze Nacht bellt.Die Hunde hier sind eine Plage. Uns wurde erzählt, dass es vor ein paar Jahren Zuschüsse für die Haltung von Hunden gab. Als die Zahlungen dann ausblieben, wurde die Hunde eben einfach freigelassen und vermehrten sich rasch. Der zahlreiche Müll und fehlende Fressfeinde ließen die Population nahezu explodieren. Inzwischen kümmern sich Tierschutzorganisationen um die Hunde. Sie werden gefangen, entwurmt, kastriert und mit einem Chip am Ohr wieder auf die Straße gesetzt.
Manche Hunde setzen sich übrigens direkt vor einen hin und gucken mit einem Blick, der Steine schmelzen lassen würde. Wer den Hund dann füttert, hat verloren, den Hund wird man nicht mehr los.
Andere Hunde sind rabiater. Unsere Gastgeber führt immer einen Stock zur Abwehr auf dem Trecker mit, angeblich hätte sich ein Hund sogar im Treckerreifen verbissen.
Im Gegensatz zu Albanien, das derzeit heißer Tipp für Urlaubsreisen ist, hat der Kosovo leider kein Meer. Trotzdem setzt man hier auf Tourismus, der sich in ein paar Jahren entwickeln soll. In der Ortschaft Janjeva sind die ersten alten Häuser bereits saniert und sollen als Ferienhäuser Touristen locken. Die alten Häuser im Ort sind mit Lehmziegeln gebaut. Die EU unterstützt die Sanierung, so denn die alten Häuser originalgetreu wieder aufgebaut werden. In der Ortschaft wurden wir nicht nur in der Taverne von den Einheimischen freundlich begrüßt, sondern auch vom Dorfpolizisten, eine Führung durch die Polizeistation war mit inbegriffen; denn — natürlich ist auch er irgendwie mit unserem Bekannten verwandt.Für uns ist jetzt schon klar: Wir kommen wieder.
Faleminderit për gjithçka.
So spannend ich den Reisebericht finde, wäre es doch kein Urlaubsziel für mich. Man vergisst hier schnell, wie gut es uns eigentlich geht und das vieles eben nicht so selbstverständlich ist. Und das man sich Gesundheit nicht kaufen könne, ist wohl auch eine Aussage über die manch einer nur bitter lachen kann.
Trotz alledem ist es ein wunderschönes Land und die ausgeprägte Gastfreundschaft sucht man sicher hier bei uns auch vergeblich. Nebenbei bemerkt, fand ich es auch nicht so schlecht, dass älteren Männern besonderer Respekt entgegengebracht wird 😉